Karriere Stadtmission Hintergrundbild

Die muss es ja wissen: Renate Hennig (91) spricht über Tagespflege, das Altern und ihre "Familie fürs Herz"

„Das ist aber lieber Besuch“, strahlt Renate Hennig und fragt: „Ihr gehört doch zur Familie?“ Renate Hennig ist 91 Jahre alt. „Familie“, das sind für sie, neben ihrer Tochter Claudia, die Gäste und Mitarbeiter:innen der Tagespflege im Kreuzstift-Karree der Stadtmission Chemnitz. Schon 2021 hatte die alte Dame den betreuten Tages-Treffpunkt in der Kanzlerstraße 31 besucht: „Das war mir zu Hause einfach nichts, so alleine.“

Renate Hennig muss sich konzentrieren, wenn sie spricht. Nach dem Tod ihres Mannes war sie von Jena nach Chemnitz gezogen. Hier wohnt ihre Tochter. Aber die 91-Jährige ist es gewohnt, einen großen Haushalt zu führen. Professor für Landwirtschaftslehre war ihr Mann: Studierende, Kinder, Freunde und Kollegen waren in der großen Wohnung ein und aus gegangen. Dann kamen die stillen Jahre und mit der Zeit, berichtet Tochter Claudia, sei auch die Lebenslust geringer geworden.

„Wir sind eine ganze Weile sehr gut mit dem Haus-Notruf der Stadtmission zurechtgekommen“, sagt Claudia Köhle-Martin. Später hatten Mitarbeiter:innen der Evangelischen Sozialstation, die ebenfalls zur Stadtmission Chemnitz gehört, die alte Dame in ihrem Alltag unterstützt. „Aber“, sagt die promovierte Psychologin, „irgendwann konnte ich mir das nicht mehr ansehen.“ So war sie auf den Gedanken gekommen, mit ihrer Mutter die Tagespflege in der Kanzlerstraße zu besuchen. „Hier hat es uns auf Anhieb gefallen“, sagt sie und Mutter Renate nickt mit blitzenden Augen: „Schön ist es“, sagt sie, „so viele liebe Menschen.“

Das Unbehagen, das viele Senior:innen befällt, wenn die Kinder den Besuch einer Tagespflege-Einrichtung vorschlagen, können die beiden nicht verstehen. Claudia Köhle-Martin: „Für meinen Mann und mich war das eine große Entlastung, denn je instabiler die Mutti wurde, desto größer war unsere Sorge, dass ihr alleine etwas zustoßen konnte.“ Für Renate Hennig bedeutete der regelmäßige Besuch der Tagespflege der Stadtmission Chemnitz einen Schritt zurück ins Leben. „Die Mutti war wie ausgewechselt“, sagt Claudia Köhle-Martin und streichelt die Hand der alten Dame: „Sie war wieder fröhlich, aufmerksam und kam auch alleine zu Hause besser zurecht.“

Weil aber niemand die Zeit aufhalten kann, kam unerbittlich der Tag, an dem Verwirrung und Gedächtnislücken den Umzug in die Vollzeitpflege unausweichlich werden ließen. Zum Jahreswechsel bezog Renate Hennig ihr gemütliches, helles Zimmer im Seniorenwohnen des Kreuzstift-Karree. Hier ist sie glücklich, sagt Claudia Köhle-Martin: Jeden Tag begegnen ihr Freunde, Pflegende und Mitglieder ihrer „Familie“ aus der Tagespflege. Hier findet sie noch heute den Anschluss und hat Teil am sozialen Leben der Gäste. „Da habt ihr wirklich etwas Schönes für mich ausgesucht“, wendet sich Renate Hennig an ihre Tochter. Die rückt die Decke mit den großen Karos zurecht, unter der es sich die alte Dame gemütlich gemacht hat: „Ihr seid so lieb zu mir“, sagt Renate Hennig. Ein Lächeln liegt auf dem alten Gesicht. Vor dem Mittagessen bleibt noch Zeit für ein Nickerchen. Claudia Köhle-Martin streichelt ihr noch einmal durchs Haar, dann schließt sie leise die Tür.

Zurück